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- Regionalgericht Landquart spricht Bergbahnbosse im Fall Arosa Gratis-Skiabos frei
Die Arosa Bergbahnen haben über viele Jahre gratis Skiabos an Gemeindepolitiker geschenkt. Am Mittwoch standen in Landquart die Verhandlungen an. Bündner News war live vor Ort. Durchhänger bei den Arosa Bergbahnen? Bild: Arosa Bergbahnen AG In den 1930er-Jahren haben alle Einheimischen in Arosa eine gratis Skisaison-Karte erhalten. Zuletzt waren es nur noch die Entscheidungsträger: Von 2014 bis 2022 boten die Arosa Bergbahnen mindestens vier Mitgliedern des Gemeindevorstands, 22 Mitgliedern des Gemeindeparlaments, vier Mitgliedern des Bürgerrats, zwei Gemeindeschreibern, dem Vorsteher des Bauamts, dem Revierförster und vier Gemeindepolizisten gratis Saisonkarten im Wert von bis zu 550 Franken an. Weil ein Teil des Skigebiets auf Churer Boden liegt, offerierten die Arosa Bergbahnen auch den städtischen Behörden jedes Jahr Geschenke. Namentlich Ski-Saisonkarten und zwar an: Vier Mitglieder des Churer Stadtrats, zwei Stadtschreiber, zwei Stadtoberförster, elf Mitglieder des Bürgerrats, dem Bürgerratsschreiber und dem Gemeindegüterinspektor. Die Anklageschrift des Regionalgericht Landquart, wo am Mittwoch der Prozess stattgefunden hat und das Urteil verkündet wurde, führt eine Liste, wie diese genannten Amtsträger Einfluss auf den Betrieb der Arosa Bergbahnen nehmen konnten. Gemeindevorstand Arosa: Entscheid über die Bewilligung von Bauprojekten der Arosa Bergbahnen AG. Gemeindeparlament Arosa: Erlass und Änderung von Gesetzen, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen sowie Ortsplanung Bürgerrat Arosa: Mitspracherecht bei Bauvorhaben der Arosa Bergbahnen AG. Gemeindeschreiber Arosa: Beratung des Gemeindevorstands. Bauamt Arosa: Entscheid über die Bewilligung von Bauprojekten. Revierförster Arosa: Entscheid über Gesuche (z.B. betr. Ausholzung) der Arosa Bergbahnen AG. Gemeindepolizei Arosa: Entscheid über Gesuche (z.B. betr. Verwendung von Motorschlitten) der Arosa Bergbahnen AG. Stadtrat Chur: Entscheid über die Bewilligung von Projekten der Arosa Bergbahnen AG (z.B. Bauprojekte) auf dem Gebiet der Churer Alpen auf Antrag der Alpkommission. Stadtschreiber Chur: Beratung des Stadtrats Chur. Stadtoberförster Chur: Beratung der Alpkommission. Bürgerrat Chur: Mitspracherecht bei Projekten der Arosa Bergbahnen AG (z.B. Bauprojekte) auf dem Gebiet der Churer Alpen. Bürgerratsschreiber Chur: Beratung des Bürgerrats Chur. Gemeindegüterinspektor: Überwachung des Grundeigentums der Bürgergemeinde Chur Dennoch wurden Lorenzo Schmid, Verwaltungsratspräsident Arosa Bergbahnen seit 1993, und Philipp Holenstein, CEO Arosa Bergbahnen seit 2012, vom Regionalgericht Landquart vollumfänglich freigesprochen. Hauptsächlich aus dem Grund, dass es sich um eine Fahrlässigkeit gehandelt hätte, sagt Gerichtspräsident Stefan Lechmann bei der Urteilsverkündung. Zwar seien Geschenke an Behördenmitglieder und Politiker im Wert von 350 bis 550 Franken heute nicht mehr sozial adäquat und damit auch nicht mehr rechtens gewesen, aber die Bergbahn-Bosse hätten nicht vorsätzlich gehandelt. Die Staatsanwaltschaft Graubünden hat die Möglichkeit, das Verfahren an die nächste Instanz weiterzuziehen.
- Stadthalle am Stadtrand – keine gute Idee
Das Big Air 2025 fällt dem Neubau der Stadthalle auf der Oberen Au zum Opfer. Chur baut eine neue Stadthalle auf der Oberen Au, die "Neuestadthalle". Visualisierung: ARGE Marti Künzli Zukünftig müssen Besucher des Oktoberfestes oder der Schlagerparade auf die Obere Au pilgern. Denn die Stadthalle im Welschdörfli wird per Ende 2025 abgerissen. Dafür entsteht eine neue Stadthalle mitten auf dem heutigen Big-Air-Festivalgelände. Das ist auch der Grund, warum das Big Air im nächsten Jahr «pausieren muss», wie die Organisatoren mitteilen. Das ist maximal ungünstig fürs Big Air, das bei der ersten Durchführung vor drei Jahren mit über 30'000 Besucher noch positiv überrascht hatte. In den Folgejahren kamen dann weniger Besucher. In diesem Herbst feierten nur noch 20'500 Personen auf der Oberen Au – für eine schwarze Null hätten es 7000 mehr sein müssen. Nur dank einer kräftigen Anschub-Finanzierung der Stadt gibt es das Big Air überhaupt noch. Wird das Festival fortgesetzt? Prognose: Nach zweijähriger Pause wird das Big Air 2026 zum Flop. Sprich, es kommen noch weniger Besucher als in diesem Jahr. Die Churer Bevölkerung entscheidet sich gegen eine Fortsetzung. Die First Event AG, welches auch das Open Air Frauenfeld organisiert, verabschiedet sich von Chur. Sie wird einen neuen Standort für einen Freestyle-Event finden. Das wäre auch ungünstig für die neue Stadthalle auf der Oberen Au, die Anfang 2026 fertiggestellt sein soll. Wäre sie doch am perfekten Standort als Konzert- oder Partyhalle fürs Big Air. 2026 wird das Festival noch stattfinden. Aber danach? Ab 2027? Werden die Schlager-Fans tatsächlich am Stadtrand feiern? Die Lederhosen- und Dirndl-Enthusiasten auch? Zumindest das Eidgenössische Schützenfest 2026 verspricht Auslastung. Chur Goes West Generell verschiebt sich die Bündner Hauptstadt Richtung Westen. 2020 ist die kantonale Verwaltung vom Stadtzentrum ins neue Verwaltungsgebäude an der Ringstrasse gezogen. Zwei Jahre später eröffnete das riesige IMAX-Kino Blue Cinema an der Sommeraustrasse und dort soll 2026 auch der ausgebaute Bahnhof West eröffnen. Hinter diesen Grossprojekten steckt der städtischen Masterplans Chur West 2030. Und damit die Idee, dass alles was Lärm oder Emissionen verursacht (Ausgang, Arbeit) an den Stadtrand soll, sodass die Altstadt ein ruhiger Ort zum Wohnen, Spazieren, und Kaffee trinken wird. Das Problem: Das historische Stadtzentrum verödet. Chur ist mit 40'000 Einwohner definitiv zu klein, eine Stadt mit zwei Zentren zu sein. Auch finanziell ist es ein Wagnis die Stadthalle auf die Obere Au zu verschieben mit 43 Millionen Franken Bau- und 560 000 Franken jährlichen Betriebskosten. Angesichts einer zu hohen Fremdfinanzierungsquote der Stadt ist es wohl ein zu hohes Wagnis. Denn wenn die Stadthalle, die bis zu 8000 Personen Platz bieten wird, meistens leer steht, müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Churs den Verlust decken. Irrwege der Demokratie Doch sie haben sich das selber eingebrockt. Die Stadtbevölkerung hat der Uffa-Bahn 2019 mit 56 Prozent zugestimmt. Die neue Talstation der Brambrüesch-Bahn wird dort gebaut, wo heute die Stadthalle steht. 45 Millionen kostet die Bergbahn, die direkt «uffa» zum Brambrüesch ins Skigebiet fahren wird. Die Stadthalle muss weichen, das Festival pausieren. Da sieht man, wozu ein Entscheid über eine Bergbahn führen kann.
- «Broadcast Yourself» – wie Schweizer Politiker nervigen Journalisten-Fragen ausweichen
Ein FDP-Shootingstar hält einen Monolog, ein SP-Duo veranstaltet ein « Bauerntheater » und ein Bundesrat spricht über Wein in Kirgistan. Politiker interviewen sich selber in eigenen Podcasts. Aber warum? Andri Silberschmidt hat soeben im Zürcher Seefeld eine Sitzung der nationalrätlichen Finanzkommission absolviert. Er packt sein Mikrofon aus, verkabelt es mit seinem Laptop und stellt es auf die Verpackung drauf. Ansatzlos spricht er ins Mikrofon: «Herzlich Willkommen zum Wochenkommentar.» Silberschmidt ist nicht der erste Politiker in der Schweiz, der regelmässig einen Podcasts aufzeichnet. Neben ihm hat das SP-Duo Mattea Meyer und Cédric Wermuth, der Aargauer Landammann Markus Dieth, die Grünen oder auch die FDP Zürich einen Podcast. Seit September ist auch SVP-Präsident Marcel Dettling ins Podcast-Business eingestiegen. Jetzt haben wirklich alle einen Podcast. Der Trend zum Politiker-Podcast kommt aus den USA, wo Kongressabgeordnete oder Senatoren schon seit Jahren Folgen aufzeichnen. Doch funktionieren solche Formate auch in der Schweiz? Und was ist ihr Mehrwert? Sven Preger, Leiter Podcasts bei der NZZ, hat sie sich angehört. Andri Silberschmidt: «im Stile eines US-Congressman» Andri Silberschmidt spricht, als höre ihm auf der anderen Tisch-Seite ein guter Freund zu. Das mache er bewusst so, sagt er. Seine Zuhörer sollen ihn von einer lockeren Seite kennenlernen. In der an diesem Tag aufgezeichneten Episode geht es darum, wie man den Einstieg in die Politik schafft. Silberschmidt erzählt, wie er selber politisiert wurde: mit 17 Jahre am Bahnhof Wetzikon. Dort kam es an Wochenenden nach dem Ausgang zu Schlägereien. Silberschmidt nahm sich dem Thema an, lancierte eine Motion und fand so den Weg in die lokale Politik. Im Podcast empfiehlt er seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, es ihm gleichzutun. Das Medium Podcast gebe ihm die Möglichkeit, sich auch einmal solchen Themen zu widmen. Hier müsse er nicht nur immer über Politikgeschäfte sprechen. «Der Mix ist entscheidend.» In einem ersten Anlauf vor vier Jahren befragte Silberschmidt Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, danach testete er ein Format mit der Schweizer Comedian Reena Krishnaraja aus. Doch das Feedback sei stets dasselbe gewesen: «Wir wollen dich hören und niemand anders.» Darum hält Silberschmidt den Podcast seit einem Jahr im Monolog. Er selber bestimmt das Narrativ. Zwar sind es nur 450 Personen, die sich eine Folge des Wochenkommentars anhören, doch die meisten davon würden den Podcast von Anfang bis Ende hören, sagt Silberschmidt. Sven Preger, Leiter Podcast bei der NZZ, erkennt im Moderator die Stärke des Podcasts: «Silberschmidt wirkt authentisch, frisch und macht das souverän, so ein bisschen wie ein US-Congressman.» Dem Podcast-Experten gefällt, dass Silberschmidt die Sendung als Monolog gestaltet. «Der Einstieg ins Thema ist direkt, ohne den üblichen Small Talk.» Dass Silberschmidt einen Monolog hält, passe zu seiner liberalem Gesinnung, weil dort das Individuum im Zentrum stehe. Meyer:Wermuth: « professionelles Bauerntheater» Dass man hochwertiger produzieren kann, beweisen Mattea Meyer und Cédric Wermuth. Das Co-Präsidium der SP nimmt seine wöchentlichen Folge in einem Studio in der Nähe des Bahnhofs in Bern auf. Sie sprechen in ihrem Podcast über Handyverbote an Schulen, Terrorismus-Prävention oder auch über die Finanzierung der Parteien. Auf Anfrage sagen sie, dass sie mit dem Podcast andere Menschen erreichen als zum Beispiel in einem Auftritt in der Arena von SRF. Sie können neue politische Themen setzen. Und es macht ihnen auch noch mehr Spass als das Streiten in der Arena. Vorteil vom Podcast: Politiker haben alles unter Kontrolle – es gibt kein nervigen Journalisten-Fragen. Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass 60 Prozent der Zuhörerschaft von «Meyer:Wermuth» jünger als 35 Jahre alt ist. Durchschnittlich hören sich 6000 Menschen die einzelnen Folgen an. Drei Viertel von ihnen von Anfang bis Ende. Sven Preger sagt: «Man merkt von der Tonqualität, dass die Produktion professioneller ist.» Aber das Format habe auch etwas «bauerntheatriges». Im Vergleich zu Silberschmidt müssten die beiden Sozialdemokraten erstmal erklären, warum sie über dieses oder jenes Thema sprechen und warum es relevant ist. «Der Einstieg wirkt gestelzt und es ergibt sich ein zu harmonischer Zweiklang.» Markus Dieth trifft: « klassische Werbeveranstaltung» Neuling unter den Schweizer Podcastern ist Markus Dieth, Aargauer Landammann und Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen. In den ersten beiden Folgen von «Markus Dieth trifft» lädt er eine CEO einer Aargauischen Bank und den Präsidenten des Branchenverbands Aargauer Wein ein. In der dritten Folge landet er einen Coup: Der sonst so medienscheue Bundesrat Ignazio Cassis ist zu Gast. Doch Landammann Dieth fragt zu wenig kritisch nach. Sein «Freund Ignazio » erzählt ein paar unterhaltsame Anekdoten wie zum Beispiel vom Ersten August 2022, wo er in Kirgistan beschwipst von ein paar Gläsern Wein mit Maroš Šefčovič, dem Vize-Präsident der EU-Kommission, ein Telefonat geführt hatte. Dabei bleibt es allerdings. Kritikpunkte wie die fehlende Präsenz von Cassis in der Presse oder die fehlenden Erfolge in der EU-Politik bleiben aus. Wie Wermuth und Meyer scheint es auch dem Bundesrat lieber zu sein von einem guten Freund, anstatt von einem Journalisten interviewt zu werden. Podcast-Experte Preger versteht nicht, was der Podcast von Dieth bezwecken soll. Sobald es spannend werde, hake dieser zu wenig nach. Für Preger ist der Fall klar: Um viele junge Menschen zu erreichen, muss Dieth an seinem Format schaffen. Bisher sei das eine «klassische Werbeveranstaltung». Journalismus kommt zu kurz Neben diesen drei Podcasts gibt es weitere: Die FDP Zürich nimmt regelmässig Sendungen auf, und auch die Grünen Schweiz. Seit Anfang September ist SVP-Präsident Dettling unter die Podcaster gegangen. Andere Formate wurden bereits wieder eingestellt, wie zum Beispiel ein Podcast der SP Zürich. Avenir Suisse, Axpo, der Städteverband oder das Luzerner Forum für Sozialversicherungen und Soziale Sicherheit machen ebenfalls Podcasts. In Swica Talks wird über Gesundheit gesprochen, im Heidiland-Podcast über Tourismus und in «A plus for Humanity» über die Arbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Bern. Damit konkurrenziert sind klassische Medien mit Journalistinnen und Journalisten. Sie werden durch Kommunikationsabteilungen und Social-Media-Kanäle ersetzt. Darunter leidet die kritische Berichterstattung und die Debatten-Kultur im Land.
- «Am Anfang war es wie ein Tsunami»: Was der Krieg in der Ukraine mit der Psyche der Kinder macht
Roksolana Yurchyshyn leitet eine Kinder- und Jugendpsychiatrie in Lwiw in der Ukraine. Zusammen mit zwei weiteren Psychiatern behandelt sie täglich dreissig, teils schwer traumatisierte Kinder und Jugendliche. Roksolana Yurchyshyn trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem «Unbroken» steht. «Unbroken» ist das erste und grösste ukrainische Rehabilitationszentrum für Kriegsversehrte in der Ukraine. Yurchyshyn leitet dort die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie. In der Schweiz ist sie auf Einladung der Luzerner Psychiatrie für eine Woche zu Besuch. Bündner News hat sie zum Interview getroffen. Frau Yurchyshyn, wie ist die Situation in Ihrer Psychiatrie in Lwiw? Unsere Klinik ist voll. Täglich behandeln wir mehr als dreissig Kinder und Jugendliche. Die Bevölkerung in Lwiw ist aufgrund des Krieges leicht angewachsen. Die Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben. Die Zahl der Fälle hat sich verdreifacht. Die Warteliste beträgt ein bis zwei Monate. Sind viele Kinder, die sie behandeln vom Krieg geflohen? Mindestens die Hälfte unserer Patienten wurden durch den Krieg traumatisiert. Vor allem diejenigen, die aus dem Osten kommen, wo die Kämpfe am heftigsten toben. Sie haben erlebt, wie russische Truppen ihre Häuser und Schulen zerstörten. Können Sie einen konkreten Fall schildern? Derzeit behandeln wir ein 17-jähriges Mädchen aus Olescheky in der Region Cherson, das zusammen mit ihrer Familie mehr als ein Jahr lang unter russischer Besatzung gelebt hat. Ihr Haus wurde teilweise zerstört, die Familie musste im Keller leben. Die Situation verschlimmerte sich, als der Kakhovka-Damm brach und die Fluten den ersten Stock ihres Hauses erreichten. Sie lebten unter schrecklichen Bedingungen, ohne verlässlichen Strom, mit eingeschränktem Internetzugang und ständigem Beschuss. Wie geht es dem Mädchen jetzt? Das Mädchen floh schliesslich mit ihrer Mutter über die russische Grenze via Belgrad nach Lwiw. Ihr Vater blieb zurück. Sie wissen bis heute nicht, ob er noch lebt. Das Mädchen hat begonnen in einem Smartphone-Shop in Lwiw zu arbeiten. Manchmal gehen ihr so viele Gedanken durch den Kopf auf einmal. Sie erinnert sich an das Geräusch von Soldaten, die ihr Maschinengewehr laden. Sie hat flashbacks. Deshalb nimmt sie Antidepressiva. Wie behandeln Sie Kinder, die unter einem Kriegstrauma leiden? Zuerst hören wir ihre Geschichten an, dann bestimmen wir die Therapie. Diese kann von Psychotherapie bis hin zu Medikamenten reichen, je nachdem, wie belastbar das Kind ist und welche Bedürfnisse es hat. Manche Kinder sprechen gut auf Trauma fokussierte Therapien an. Je nach Art und Intensität des Traumas wenden wir auch andere Ansätze an. Erlebten die Kinder nur einen Schock über kurze Zeit, machen sie rasch Fortschritte. Hielt der Schock an, etwa weil sie unter Besatzung lebten, dauert die Therapie länger. Wie hat sich die Situation mit dem Verlauf des Kriegs verändert? Am Anfang war es wie ein Tsunami. Tausende von Kindern und Erwachsenen kamen mit den Zügen nach Lwiw. Einige zogen über die Grenze nach Europa weiter, andere blieben. Auch wir wurden von dieser Welle überrollt. Sie arbeiteten damals noch in einem anderen Spital. Wie kam ihr Team mit der ersten Welle zurecht? So gut es eben möglich war. Niemand hat mit einem Krieg und traumatisierten Kindern gerechnet. Zuerst wussten wir nicht, wie wir damit umgehen sollten. Wir haben Tag und Nacht gearbeitet. Vor gut einem Jahr haben Sie die Kinder- und Jugendpsychiatrie-Abteilung gegründet. Drei Psychiater behandeln unter ihrer Leitung täglich vierzig Kinder. Wie schaffen Sie das? Indem wir viel arbeiten. Jeder macht Überstunden. Wenn es einen Fall gibt, muss man ihn annehmen. Vor der Corona-Pandemie und dem Krieg gab es fünfhundert Psychiater in der Ukraine. Jetzt sind es sechshundert. Auch Kollegen aus dem Westen unterstützen uns. Haben Sie nie daran gedacht, die Ukraine zu verlassen? Ich hatte ein Angebot, aber ich wollte das Land nicht verlassen. Warum sollte ich? Wer kümmert sich dann um die Kinder? Die allermeisten ukrainischen Kinder- und Jugend-Psychiater sind geblieben. Wenn die Soldaten im Osten fliehen würden, wer würde uns dann verteidigen? Ihre Front ist auch unsere Front. Wie ist die Situation in Lwiw heute? Die Russen greifen uns gelegentlich mit Raketen, Marschflugkörpern oder Drohnen an. Normalerweise dann, wenn wir zur Arbeit, zur Schule oder zur Universität gehen. Dann gibt es Luftalarm. So läuft es im ganzen Land, nicht nur im Osten. Die Russen zerstören Gebäude, Schulen, Elektrizitätswerke und sogar Krankenhäuser. Ochmatdit, das grösste Krankenhaus in Kiew, wurde im vergangenen Jahr von russischen Raketen getroffen. Hunderte Kinder mussten im Keller unter den zerstörten Wänden und Ziegeln verharren. Andere sassen draussen mit Infusionsschläuchen. Kinder mit Nierenschäden, schweren somatischen Störungen oder anderen Krankheiten. Was haben Sie gefühlt, als sie diese Bilder sahen? (Yurchyshyn denkt nach): Ich weiss es nicht. Ich glaube, ich war frustriert. Liessen sie zu diesem Zeitpunkt irgendwelche Gefühle zu? Nein. Sie arbeiteten einfach weiter. (Yurchyshyn bricht in Tränen aus): Ich habe nie darüber nachgedacht, wie ich mich damals fühlte. An diesem Tag weinte ich nicht. Jetzt habe ich Zeit, mich zu entspannen und zu reflektieren. Sprechen wir über die Erfolge der Therapie. Wie baut man eine Beziehung zu einem Kind auf, das den Krieg erlebt hat? In den ersten zwei, drei Sitzungen geht es darum, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dann wird es vielleicht in der nächsten Sitzung etwas von sich preisgeben. Wenn die Kinder das Gefühl haben, dass sie Ihnen vertrauen können, werden sie Ihnen alles erzählen. Was tun Sie, wenn ein Kind ihre Eltern verloren haben? Wie können sie sich wieder sicher fühlen? Wir hatten zwei Brüder aus Serhiyivka, vierzehn und zehn Jahre alt, deren Gebäude nachts bombardiert wurde. Diese beiden Jungen wurden schwer verletzt und lagen im Koma. Als sie im Spital in Lwiw aufgewacht sind, musste ihnen jemand sagen, dass ihre Eltern gestorben sind. Ihre Tante und einige Psychologen kamen. Sie haben es ihnen aber nicht sofort gesagt. Es gab eine Zeit, in der niemand darüber sprach. Ich glaube, sie spürten, dass etwas nicht in Ordnung war. Als man es ihnen schliesslich erzählte, haben sie geweint. Viel geweint. Wie kann man sich von solch einem Trauma erholen? Mit Fürsorge und Liebe. Von der Person, die sich um Sie kümmert, von Verwandten, Psychologen, Ärzten. Jeder braucht zumindest eine verlässliche Bezugsperson in seinem Leben, um wieder auf die Beine zu kommen. In diesem Fall hat die Tante die Brüder nach Grossbritannien gebracht. Jetzt studieren sie dort. Manchmal kommen sie zurück zu uns nach Lwiw, weil sie körperliche Rehabilitation und psychologische Unterstützung brauchen. Wenn ein Kind Sie fragt, wann der Krieg endet. Was antworten Sie? Dass ich es nicht weiss. Wir versuchen, den Kindern gegenüber ehrlich zu sein, aber wir versuchen, sehr behutsam mit der Wahrheit zu sein. Es kommt darauf an, wie man sie einem Kind vermittelt. Man darf nicht lügen. Manchmal sind diese Kinder für ihr Alter schon sehr reif – wegen des Kriegs. Wie reagieren Kleinkinder auf den Krieg? Wir haben einen vierjährigen Jungen in Therapie. Als er drei Monate alt war, verstarb seine Mutter an Krebs. Er lebte mit seiner Tante in den besetzten Gebieten; unter Bombenangriffen, in Schutzräumen, dann beschloss seine neue Familie, ihn nach Lwiw zu bringen. Sie kamen zu uns, weil ein Psychologe zum Schluss kam, dass das Kind Autismus habe. Das Kind kommunizierte nicht richtig, war verschlossen, vermied Blickkontakt und spielte nur rudimentär. Aber ist es wirklich Autismus? Oder ist es Trauma nach Trauma nach Trauma? Seine neue Familie wollte ausreisen, aber wir beschlossen, dass es besser ist für ihn, in Lwiw zu bleiben. Hier kennt er immerhin die Sprache. Wir starteten eine Psychotherapie. Ich hoffe, es wird ihm bald besser gehen. Verstehen Kleinkinder die Situation? Sie verstehen sie auf ihre Weise. Sie spielen mit selbstgebastelten Waffen, sie spielen Krieg. Kinder wiederholen, was sie im Leben sehen, was sie in den Nachrichten sehen, was sie von Erwachsenen hören. Sie imitieren mit dem Spielen ihre Umgebung. Manchmal denken sie, der Krieg sei ihre Schuld. Warum? Kleinkinder mit besonderen Bedürfnissen können nicht zwischen der Realität und abstraktem Denken unterscheiden. Wenn sie ein Gespräch von Erwachsenen hören, können sie das Gefühl erhalten, dass die Bedrohung sehr nahe ist. Das verängstigt sie. Sie leiden dann unter Phobien oder Depressionen. Man muss beim Medienkonsum sehr vorsichtig sein. Wie wirken sich die sozialen Netzwerke auf die Jugend in der Ukraine aus? Kinder haben Zugang zu vielen Kanälen, auf denen sie Raketen und Explosionen verfolgen können, sie schauen jeden Tag Nachrichten. Sie sehen schreckliche Bilder von Bombardierungen, Wunden, Traumata oder Katastrophen. Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass das Online-Leben in der Ukraine zur neuen Normalität geworden ist. Viele Kinder lernen im Internet, knüpfen dort Kontakte und werden online mit Kriegsinhalten konfrontiert. Dies hat eine zutiefst traumatisierende Wirkung auf sie. Eines Tages wird der Krieg vorbei sein. Werden die ukrainischen Kinder durch den Krieg widerstandsfähiger sein? Ich möchte nicht, dass unsere Kinder durch diese Katastrophen stark werden. Aber natürlich, sie werden stärker, widerstandsfähiger und «unbroken» sein.
- Kommentar zum Urteil Arosa Gratis-Skiabos: In Graubünden wäscht eine Hand die andere
Der Baukartell-Skandal hat den Klüngel in Graubünden offenbart. Die Gratis-Skiabos in Arosa fallen in dieselbe Kategorie, auch wenn die Bergbahnbosse freigesprochen wurden. Die Kultur muss sich ändern. Im Engadin leben heute mehr Menschen, die nicht rätoromanisch sprechen, als Rätoromanischsprechende. Es ist nicht mehr 1850 und die Einheimischen sind nicht mehr unter sich. Die Schweiz schaut hin. So war es beim Baukartellskandal 2004 bis 2012, als sich Bauunternehmen im Unterengadin gegenseitig Aufträge zuschanzten. Das Kartell wurde aufgedeckt. Schweizweit rückte Graubünden in schlechtes Licht. Ganz ähnlich lief es nun in Arosa. Von 2014 bis 2022 boten die Arosa Bergbahnen Gemeindepolitikern und hohen Beamten stark vergünstigte oder sogar gratis Skiabos an. In der Höhe von bis zu 550 Franken. Nun wurde am Prozess in Landquart bekannt, dass nicht nur die örtlichen Gemeindepolitiker, sondern auch diejenigen in Chur vom Angebot profitierten. Ein Teil des Skigebiets Arosa liegt auf Boden der Bürgergemeinde Chur. Deshalb ist man auf eine gute Zusammenarbeit den städtischen Behörden angewiesen. Politiker und Beamte, sogar der Churer Stadtoberförster, wurde ebenfalls dazu eingeladen, ihre gratis Skiabo bei den Bergbahnen abzuholen. Systematisch haben die Arosa Bergbahnen für alle möglichen Entscheidungsträger Skiabos bereitgestellt. Und das schon seit mindestens 50 Jahre. 1974 war das noch kein Problem. Sogenannte Vorteilsgewährung war hierzulande nicht einmal strafbar. In der Zwischenzeit hat sich das aber geändert. Das Verschenken von Skiabos an Entscheidungsträger ist heutzutage mehr als gesunder Lobbyismus. Geschenke über einem Wert von 300 Franken sind seit der Jahrtausendwende unter dem Punkt Vorteilsgewährung strafbar. So sieht es auch das Regionalgericht Landquart. Dennoch spricht es die Bergbahnbosse von der Anschuldigung vollumfänglich frei. Hauptsächlich aus der Begründung, dass diese fahrlässig gehandelt hätten. Sprich, sie hätten nicht gewusst, dass sie etwas Strafbares tun. Die Angeklagten als Opfer Im April 2021 berichtete die «Südostschweiz» als erste über die Praxis der Arosa Bergbahnen in einem Artikel. Die angeklagten Lorenzo Schmid, Verwaltungsratspräsident Arosa Bergbahnen, und Philipp Holenstein, CEO Arosa Bergbahnen, liessen die Praxis bis ins nächste Jahr weiterlaufen. Als sie merkten, dass es zu einer Anklage kommt, stoppten sie die Praxis. Doch zeigen sie Reue? Nein. Ihr Strafverteidiger moniert in Landquart den Zeitgeist der "Gutmenschen", der schlecht sei. Seine Mandaten hätten besseres zu tun, als sich damit herumzuschlagen, ob es nun berechtigt sei oder nicht, Skiabos zu verschenken. Der Angeklagte Holenstein sagte in den Verhandlungen es sei ein Bagatellfall, der eine Gruppe von politischen Gegner und Medien gegen die Bergbahn-Bosse führten. Lorenzo Schmid sagte bereits 2021, als die Praxis aufgedeckt wurde, gegenüber der «Südostschweiz»: «In Arosa sind alle im selben Team.» Genau diese Mentalität ist aber häufig das Problem in Graubünden. Sie ist nicht mehr zeitgemäss, wenn sie es überhaupt jemals war. Es war dieselbe Begründung, die das Baukartell im Unterengadin so lange am Leben hielt: Um in den abgelegenen Talschaften zu überleben, muss man zusammenstehen. Genau diese Mentalität gilt es jedoch abzulegen. Auch wenn im Fall der Arosa Gratis-Skiabos keine Strafbarkeit vorliegt. Und dieser Wandel muss von der Spitze kommen: Namentlich von der Bündner Regierung. Vom Baukartell-Skandal hatten sie nichts gelernt. Trotz Aufarbeitung in einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Ähnlich wie Holenstein verstrickten sich die damals zuständigen Regierungsräte in Ausreden. Regierungsrat Jon Domenic Parolini trat nicht vom Amt zurück, auch wenn er als ehemaliger Scuoler Gemeindepräsident Hinweise von Informant Adam Quadroni aufs Kartell ignoriert hatte. Der heutige RhB-Verwaltungsratspräsident und ehemalige Regierungsrat Mario Cavigelli zeigte ebenfalls keine Reue. Er sprach mehrfach von unterländische Medien, die das Thema aufbauschten. Auch ihm passte der Zeitgeist nicht. Problematische Tradition Und jetzt in Arosa? Alles nur halb so wild? Das Regionalgericht Landquart, wo die Verhandlungen stattfanden, sieht das zumindest so. Teils hätten die Angeklagten zwar gegen das Gesetz verstossen, aber halt nicht vorsätzlich. Sprich, sie hätten schlicht nicht gewusst, dass sie etwas Illegales tun. Verwaltungsratspräsident Schmid und CEO Holenstein erhalten vom Gericht je über 8000 Franken Entschädigung zugesprochen, der Kanton Graubünden übernimmt darüber hinaus die Verfahrenskosten. Die Strafauszüge der Angeklagten bleiben leer. Die Staatsanwaltschaft lässt offen, ob sie das Verfahren weiterzieht. Doch werden die Freigesprochenen auch etwas daraus lernen? Zumindest den Bündnerinnen und Bündner soll es eine Lehre sein, die alten Strukturen aufzubrechen und im 21. Jahrhundert anzukommen. Die Schweiz schaut hin. Auch in Graubünden herrschen Gewaltenteilung, Demokratie und Rechtsstaat. Die Anklage hat zumindest dazu geführt, dass die Arosa Bergbahnen die alte Tradition einstellten. Beim nächsten Mal kann die Begründung von Fahrlässigkeit nicht mehr gelten.







